Mindestens 15 Menschen kamen heute gegen 17:00 Uhr bei einer Massenpanik während der Loveparade in Duisburg zu Tode. Viele andere wurden schwer verletzt. In den ersten Berichten, die ich danach im Fernsehen gesehen habe, waren schnell wieder Menschen zu sehen und zu hören, die von einer schönen, friedlichen Veranstaltung sprachen, die leider durch ein tragisches Ereignis überschattet wurde. Meine Eindrücke vor Ort waren völlig andere.
Ich hatte lange überlegt, ob ich zu dieser Veranstaltung fahren und Fotos machen sollte. Die Essener Loveparade mit ihrem die halbe Innenstadt bedeckenden Scherbenteppich, den vielen Verletzten und den zahllosen bis zum völligen Kontrollverlust Besoffenen und Bedröhnten ist mir noch in schlechter Erinnerung und die Vorstellung, dass die Veranstaltung in Duisburg auf einem abgehängten und abgesperrten Schotterplatz stattfinden sollte, hat mich auch nicht gerade angemacht. Am Ende habe ich mich aber doch durchgerungen und bin am frühen Nachmittag mit dem Zug von Essen nach Duisburg gefahren. Die Stimmung im Waggon wurde bestimmt von rauchenden, grölenden und massenhaft Alkohol konsumierenden Menschen in verschiedenen Gruppen, die den Wagen in Duisburg völlig verdreckt verließen. Einigen wenigen schien das Benehmen ihrer Kumpel peinlich zu sein, die meisten anderen standen aber auf dem Standpunkt, heute ist Loveparade, da ist alles erlaubt, und sagten das auch laut und deutlich.
Vor dem Duisburger Hauptbahnhof fielen mir zuerst die vielen leeren Bier- und Schnapsflaschen auf, die überall herumlagen, danach die riesige Zahl von Polizisten, Ordnern, Feuerwehrmännern, Helfern, Sanitätern usw. Trotzdem drängte sich nicht gerade der Eindruck guter Organisation auf. Wegweiser zum Gelände der Loveparade waren schon kurz hinter dem Bahnhof nicht mehr zu finden, an diversen Absperrungen wurden zwar die Taschen nach Glasflaschen untersucht, aber so, dass sofort hinter jeder Absperrung wieder massenhaft Flaschen mit Hochprozentigem zu sehen waren. Nachdem ich mich zum Gelände und zum Presseeingang durchgefragt hatte, ging ich sofort auf die Pressebrücke, um ein paar Übersichtsaufnahmen zu machen. Noch bewegten sich die Floats, nach einer Weile blieben sie allerdings stehen und machten keinen Meter mehr. Was ich auf dem öden, staubigen Gelände sah, wirkte auf mich nicht einmal wie die schlechte Karikatur der Loveparade früherer Jahre. Ich fragte mich, warum sich Menschen das antun, und machte mich nach einer Stunde wieder auf den Rückweg.
Mit mir strömten erstaunlich viele Menschen zurück zum Hauptbahnhof, gleichzeitig zogen noch Massen zum Gelände. Im Hauptbahnhof stellte ich dann fest, dass überhaupt keine Züge mehr fuhren. Auf Nachfrage wurde ich auf den „Busersatzverkehr“ verwiesen, den ich angeblich am anderen Ausgang des Bahnhofs finden sollte. Da war aber nichts. Stattdessen sagte mir ein Polizist, seit einigen Minuten würden wieder Züge fahren, ich sollte zurück in den Bahnhof gehen. Dort gab es wieder dieselbe Auskunft wie eine Viertelstunde vorher, und ich machte mich zusammen mit vielen anderen auf die Suche nach den Bussen.
Was ich weit hinter dem Bahnhof fand, waren drei große Gelenkbusse mit dem Ziel Krefeld, nahezu leer und unmittelbar vor der Abfahrt. Von Bussen zu anderen Städten war weit und breit nichts zu sehen. Ich umrundete den Bahnhof und betrat ihn erneut durch den Haupteingang. Nun hieß es drinnen, Züge nach Essen würden wieder fahren, „wahrscheinlich“ auf Gleis 11, 12 oder 13. Zu den Gleisen durfte ich aber nicht die Aufgänge im Bahnhof nehmen, sondern mußte wieder durch den Hinterausgang hinaus. Irgendwo in der Nähe der Busse sollte man von außen auf die Gleise gelangen können. Vor und hinter dem Bahnhof suchten Massen von Menschen nach Bussen oder Gleisen. Die Stimmung war gereizt und es lag viel Aggressivität in der Luft, die sich unmittelbar neben mir plötzlich in einer Schlägerei entlud.
Als ich endlich den Zugang zum Gleis 12 in einem Tunnel unter dem Bahnhof gefunden hatte, war die Treppe nach oben durch Polizisten abgeriegelt. Im Tunnel staute sich eine unübersehbare Menge von Menschen, die offensichtlich auch alle nur noch weg wollten. Neben mir im Gedränge kam es fast wieder zu einer Schlägerei und ich dachte, dass es übel enden würde, wenn jetzt einige Leute durchdrehten. Zum Glück wurde die Treppe bald darauf frei gegeben, und etwa 10 Minuten später lief auch tatsächlich ein Zug ein, der mich wieder nach Essen brachte.
Für mich war diese Loveparade zu keinem Zeitpunkt eine „schöne, friedliche Veranstaltung“, sondern ein völlig ödes Event mit einer Unmenge von abgefüllten, aggressiven und enthemmten Menschen, mitten in einem gewaltigen Organisationschaos. Vom Tod so vieler Menschen erfuhr ich erst zu Hause durch den Anruf einer Freundin. Ich war entsetzt, aber nicht wirklich überrascht. Dass die Party noch stundenlag danach weiter lief, ist für mich unfassbar und verstärkt in mir den Eindruck, dass mit dieser Veranstaltung auch einige Verantwortliche total überfordert waren.