13. Tag, Freitag, 20.05.2011, Amboise – Chinon, 79 km, 10:30 – 16:30 Uhr
Die Tauben im Baum über mir machen mich sehr früh wach. Ich schlafe dann aber doch noch mal tief und fest ein und komme erst spät wieder auf den Sattel, nachdem ich noch 6 Euro für die Übernachtung bezahlt habe. Bis Tours sind es keine 20 km auf der D 751. Ich erhoffe mir von der Stadt ein gutes Frühstück, stelle dann aber fest, dass sich die eigentlich schöne Innenstadt von Tours seit meinem letzten Besuch vor etwa 30 Jahren zwar zu einer riesigen Fress-Meile entwickelt hat, ein einfaches Frühstück mit einem Milchkaffee und Croissants finde ich aber nicht. Es gibt jede Menge Restaurants, dazu alle Arten von Fast-Food. Kein Meter Hausfassade, vor dem nicht Tische und Stühle stehen. Es ist gar nicht so einfach, mit dem vollen Rad durch die Fußgängerzone zu schieben, da auch hier große Touristengruppen unterwegs sind und wie Schafherden die Straßen blockieren. Eine amerikanische Gruppe wird von einem singenden Stadtführer angeführt. Drei Border-Collies wären wesentlich sinnvoller. Was ist aus dieser Stadt geworden? Am Rande der Innenstadt finde ich schließlich doch noch einen Bäcker, esse auf einer Bank am Flussufer, fahre schnell weiter und trinke meinen Kaffee erst viel später, weit außerhalb der Stadt.
Ab Savonnières fahre ich bei sommerlichen Wetter und weiterhin kräftigem Westwind auf der D 7 weiter und genehmige mir meine zweite Portion Energie-Gel, als ich merke, dass meine körpereigenen Reserven zur Neige gehen. In Huismes verlasse ich die Loire, erspare mir den Anblick des nächsten AKW und schwenke nach Süden, Richtung Chinon. Damit ist auch die Entscheidung getroffen, nicht dem Fluss bis zur Küste zu folgen, sondern, wie anfangs geplant, über Poitiers weiter nach Süden zu fahren. Rummel und Verkehr an der Loire sind mir einfach zu viel. Ich möchte wieder in ländlichere, ruhigere Gegenden, auch wenn ich dafür einige Hügel in Kauf nehmen muss. Mit den Hügeln geht´s auch sofort los. Zum Stadtrand von Chinon geht es stramm bergauf, um dann sofort wieder steil nach unten ins Zentrum und an das Ufer der Vienne zu gehen.
Der Campingplatz liegt sehr schön auf dem anderen Ufer, seine Atmosphäre ist familiär. Meine Nachbarn, ein älterer Herr und seine noch ältere Mutter stammen nach dem Autokennzeichen aus Paris und sehen so aus, als würden sie schon seit 30 Jahren auf genau demselben Rasenstück Urlaub machen. Jeder scheint hier jeden zu kennen. Außerhalb des Platzes, unmittelbar am Wasser, habe ich bei der Anfahrt eine improvisierte, gut besuchte Freiluft-Guingette gesehen. Alles wirkt sehr idyllisch, und ich fühle mich wieder wohler als an der Loire. Der Schreck kommt, als ich nach dem Zeltaufbau, der Wäsche und dem Duschen mein Rad genauer betrachte. Am Vorderreifen hat sich ein etwa 20 cm langer Abschnitt verformt. Die Lauffläche geht dort auseinander wie eine Fleischwurst in heißem Wasser. Mit diesem Reifen werde ich nicht mehr weit kommen. Das Hinterrad sieht intakt aus, allerdings ist das Profil noch stärker abgefahren als vorne. Ich frage nach einem Fahrradladen und höre zu meiner Erleichterung, dass es tatsächlich einen im Ort geben soll, allerdings ungefähr dort, wo vorhin meine rasende Abfahrt begonnen hat. Nach 21 Jahren hat auch ein Schwalbe-Marathon-Reifen jedes Recht, den Geist aufzugeben, ich werde aber den Verdacht nicht los, dass es gar nicht am Alter gelegen hat, sondern an einem viel zu hohen Luftdruck aus einer englischen Profi-Pumpe.
Am Abend sehe ich mir die volle Guingette aus der Nähe an, laufe auf der Brücke in Richtung Ortskern, sehe schon von weitem, dass die Bürgersteige hochgeklappt sind, drehe wieder ab, esse in einem unscheinbaren Lokal an der Brücke ein gutes Omelette und ein Eis, unterhalte mich nett mit der Lokalbesitzerin, die schon dabei war den Laden zu schließen und sich über die späte Einnahme freut. Wie sich herausstellt, ist sie vor Jahren mit ihrem Mann aus Paris an die Vienne gezogen und kann sich heute nicht mehr vorstellen, im Lärm der Hauptstadt zu leben.