Kraniche mögen keine Kokereien

Seit Anfang Oktober schon sind sie unterwegs und bieten auch am Himmel über dem Ruhrgebiet ein imposantes Schauspiel. Hunderttausende von Kranichen ziehen nach Süden und sind an ihren lauten Rufen, den nach hinten gestreckten Beinen und ihrer V-förmigen Flugformation leicht zu erkennen. An der Spitze der Formation übernimmt jedes Tier des Schwarms für einige Zeit die kraftzehrende Führungsarbeit und lässt sich dann in einen der beiden V-Flügel zurück fallen, um einem anderen Tier Platz zu machen. So jedenfalls konnten wir es am letzten Wochenende über der Halde Hoheward zwischen Herten und Recklinghausen beobachten, wo mitunter über tausend Vögel gleichzeitig über uns in der Luft waren und ein Schwarm vom nächsten abgelöst wurde.

Kraniche über der Halde Beckstrasse in Bottrop © Michael Kneffel

Kraniche über der Halde Beckstrasse in Bottrop © Michael Kneffel

An der Halde Beckstrasse in Bottrop, wo wir heute einen Spaziergang zum Tetraeder unternahmen, bot sich allerdings ein völlig anderes Bild. Zwar waren auch hier tausende von Kranichen unterwegs. Immer wieder jedoch brachen sie ihren Flug nach Süden ab, gaben ihre Flugordnung auf, flogen sogar wieder zurück und boten eher das Bild eines Möwenschwarms als eines geordneten Kranichzugs. Die Ursache dafür war schnell auszumachen. Immer wenn die Kokerei Prosper ihre gewaltigen Wasserdampschwaden aufsteigen ließ, wirkte das auf die Kraniche wie eine plötzlich hochgezogene Wand, vor der sie ungeordnet zurückwichen. Und selbst als sich der Wasserdampf schon längst verzogen hatte und mit dem Auge nicht mehr auszumachen war, waren die Kraniche noch in heller Aufregung, machten kehrt, sammelten sich vor der Kokerei neu und umflogen sie schließlich in größeren Bögen. Es dauerte eine ganz Weile, bis nachfolgende Schwärme die Kokerei wieder relativ normal überflogen. Sobald neuer Wasserdampf aus dem Kühlturm aufstieg, war es mit der Normalität aber auch schon wieder vorbei und die viel Energie verbrauchenden Umkehr- und Ausweichmanöver wiederholten sich.

die Kokerei Prosper in Bottrop lässt Dampf ab © Michael Kneffel

die Kokerei Prosper in Bottrop lässt Dampf ab © Michael Kneffel

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Sprint auf den Tetraeder mit 20 Kilo Ausrüstung und Atemgerät

Ziel und Höhepunkt unseres gestrigen Sonntagsspaziergangs sollte nach etlichen Monaten mal wieder der Tetraeder in Bottrop sein. Die Aussicht von dort oben ist immer wieder ein Erlebnis, und wir dachten uns, bevor es am Nachmittag Kaffee und Kuchen gibt, kann es auch nicht schaden, vorher einige Kalorien zu verbrennen. Die Halde, auf welcher der Tetraeder steht, ist immerhin 90 Meter hoch. Ganz Eilige können sie über eine Treppe mit 387 Stufen erklimmen. Will man auf die oberste Plattform des Tetraeders, muss man noch einmal 38 Höhenmeter nehmen.

(c) Michael Kneffel

(c) Michael Kneffel

Als wir am Fuß der Halde ankommen, sehen wir, wie aus einem großen Lieferwagen drei Feuerwehrleute steigen, in voller Montur, mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken und Atemmasken, die noch am Hals baumeln. Etwas irritierend dieser Anblick. Feuer ist weit und breit nicht zu sehen. Die wollen doch nicht etwa mit dem ganzen Ballast auf den Tetraeder? Sieht aber ganz danach aus, denn sie machen sich zügig auf den Weg, den wir für den direkten nach oben halten. Wir in kurzem Abstand hinterher. Bevor wir mit unserem Fußweg den ersten Absatz der Treppe erreichen, biegen die drei nach rechts in Richtung Kokerei ab. Anscheinend habe sie doch ein anderes Ziel als wir. Oder doch nicht? Nach wenigen Sekunden wird klar, die drei wollen sich nur keine einzige Stufe der Treppe entgehen lassen. Unterhalb unseres Standpunkts setzen sie sich unter den Augen noch einiger anderer Spaziergänger ihre Atemmasken und Helme auf, schließen die Sauerstoffversorgung an und sind auch schon auf der Treppe und an uns vorbei.

(c) Michael Kneffel

(c) Michael Kneffel

Die ersten Stufen nehmen sie noch in halbwegs normalem Tempo, aber dann drehen sie auf und es fällt mir schwer, den Anschluss zu halten. Auf halber Treppe schlägt mir das Herz bis zum Hals, ich schnappe nach Luft und meine Beine fühlen sich an wie mit Flüssigbeton aufgefüllt. Regine läßt sich zurückfallen, aber mich packt der Ehrgeiz und ich versuche, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen und noch einige Fotos von den dreien zu machen. Auch zwischen Ihnen werden die Abstände größer. Als ich das Ende der Treppe erreiche, betritt der erste Feuerwehrmann bereits den Tetraeder am anderen Ende des Plateaus. Seine Kollegen folgen mit etwa 30 und 50 Meter Abstand.

(c) Michael Kneffel

(c) Michael Kneffel

Es vergeht eine ganze Weile, bis ich die drei auf der obersten Plattform des Tetraeders wieder aus der Nähe sehe. Während mir der Schweiß den Rücken runterläuft, machen Sie schon wieder einen ganz erholten Eindruck und verhandeln allen Ernstes, ob sie den gesamten Aufstieg gleich noch einmal machen sollen. Ich bekunde erst einmal aus voller Überzeugung meinen Respekt vor ihrer sportlichen Leistung und erfahre,  dass  es sich bei diesem Sprint auf den Tetraeder keinesfalls um eine Pflichtveranstaltung handelt, sondern um das freiwillige Sonntagsvergnügen der drei jungen Männer, die in der Freiwilligen Feuerwehr Voerde organisiert sind.

Bevor wir ins Plaudern kommen, haben sie auch schon beschlossen, zwar nicht den ganzen Aufstieg zu wiederholen, aber wenigstens noch einmal die Treppe im Tetraeder hochzusprinten. Ich kann mich für diesen Plan nicht richtig erwärmen und beschließe, die drei lieber oben zu erwarten und mich zwischenzeitlich etwas zu erholen. Tatsächlich dauert es dann nicht sehr lange, bis zwei von ihnen wieder in voller Ausrüstung und mit Atemgerät die Stufen hoch jagen.  Ich ziehe innerlich noch einmal meinen Hut, diesmal nicht nur vor ihrer Fitness, sondern noch mehr vor ihrem Engagement.

(c) Michael Kneffel

(c) Michael Kneffel