IS-Sklavenmarkt in Essen – eine neue Aktion von 12thMemoRise

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

12thMemoRise bereitet eine Aktion in Essen vor © Michael Kneffel

Zunächst bin ich ziemlich irritiert, als ich gestern nach einem Einkauf in der Essener Innenstadt über den Willy-Brandt-Platz Richtung Hauptbahnhof gehe. Jede Menge junge Männer mit schwarzen Bärten und schwarzer Kleidung, die sich in arabischer Sprache miteinander unterhalten und ziemlich aufgeregt wirken. Dazwischen drei in farbigen, mittelalterlich wirkenden Gewändern mit Ritterhelmen und Kettenhemden. Bei einigen entdecke ich Embleme auf den Jacken, die mich an die Zeichen des IS erinnern. Ich bleibe stehen und sehe am Rande des Platzes etwa ein Dutzend junge Frauen, die von Kopf bis Fuß verschleiert sind oder entsprechende Kleidungsstücke anlegen. Einige von ihnen halten Kreuze in den Händen? Was soll das werden? Ein Aufmarsch von Salafisten? Eine Protestaktion? Gegen wen oder gegen was?

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

junge Frauen vor ihrem Auftritt als Sklavinnen © Michael Kneffel

Eine Frau mit Migrationshintergrund, die auch stehen geblieben ist, sieht mich fragend an und empört sich schließlich: „Die dürfen alle nach Deutschland kommen und dann hier machen, was sie wollen.“ Inzwischen habe ich bemerkt, dass einer der schwarzen Bärte falsch ist. Ich versuche die Frau zu beruhigen, indem ich sie darauf hinweise und ihr sage, dass es sich wahrscheinlich um eine Theateraktion handelt. Sie bleibt skeptisch und beobachtet die Szene weiter mit zusammengekniffenen Augen.

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

manche der Bärte sind falsch © Michael Kneffel

Am Ende des Platzes vor dem Kaufhof-Abgang wird aus mehreren Bierzelttischen eine Bühne gebaut und mit Teppichen belegt. Mehrere Ordner versuchen, mit einer blauen Leine eine rechteckige Fläche abzusperren, auf der sich allmählich die Schwarzgekleideten in Reihen formieren. Inzwischen habe ich erfahren, dass hier ein Sklavenmarkt des IS inszeniert werden soll.

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

12thMemoRise auf dem Willy-Barandt-Platz © Michael Kneffel

Junge Muslime, die sich unter dem Namen 12thMemoRise zusammengeschlossen haben, wollen die Versteigerung junger islamischer und christlicher Frauen nachstellen. Sie wollen an den Terror des IS erinnern und gleichzeitig die Lebensbedingungen in den Ländern verdeutlichen, aus denen gegenwärtig Zehntausende nach Deutschland fliehen. Ein junger Mann sagt mir, dass er auch gegen die Auftritte von Salafisten protestiert, die in Essen regelmaeßig den Koran verteilen.

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

IS-Sklavenmarkt in Essen © Michael Kneffel

Von außerhalb der Absperrung verfolgen etwa zwei – bis dreihundert Menschen die Vorbereitungen auf dem Platz, die gespielte Versteigerung der Sklavinnen und schließlich die flammenden Appelle des Auktionators, der das Spiel abbricht und erklärt, worum es den jungen Akteuren geht. Die große Mehrheit der Zuschauer besitzt offensichtlich selbst einen Migrationshintergrund. Von den alteingesessenen Essener Bürgern, die über den Platz gehen, bleiben nur wenige stehen.

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„Accattone“ bei der Ruhrtriennale 2015 – Zurück zu den Wurzeln

Accatone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Theater, Tanz und Musik in alten Industrieanlagen zu präsentieren ist das Markenzeichen der Ruhrtriennale. Allerdings begannen Kulturschaffende schon lange vor diesem Festival, ehemalige Zechen, verlassene Eisenhütten und öde Industriebrachen im Ruhrgebiet zu bespielen. Ich erinnere mich noch gut an die erste internationale Tanzmesse in den 90er Jahren auf dem Gelände der Zeche Zollverein und an eine Tanzproduktion irgendwo ganz oben in der ehemaligen Kohlenwäsche kurz vor Mitternacht. Es war nahezu dunkel, eiskalt und um uns herum lag fingerdicker Staub, in dem die Tänzerinnen und Tänzer auftraten. Die Arbeitsbedingungen für die Künstler waren halsbrecherisch, aber auch die Zuschauer mußten einige Abenteuer bestehen, bis sie ihre Plätze unter wärmenden Wolldecken einnehmen konnten. Führer mit Taschenlampen geleiteten die Besucher von einem Veranstaltungsort zum nächsten und sorgten dafür, dass niemand in eines der vielen ungesicherten Löcher auf dem Gelände fiel. In manchen Räumen der ehemaligen Waschkaue stand das Wasser knöcheltief. Trotzdem wurde dort getanzt. Und nicht zuletzt deswegen war das so faszinierend.

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Als die Ruhrtriennale 2002 den Betrieb aufnahm, waren viele Industrieanlagen bereits im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher saniert und mit anspruchsvoller Veranstaltungstechnik ausgestattet. Über die Jahre wurden die Arbeitsbedingungen für die Künstler immer besser, und die Produktionen immer aufwändiger. Für Willy Deckers TRISTAN UND ISOLDE wurde eine gewaltige, scheinbar beliebig neigbare Bühne in die Jahrhunderthalle gebaut, für David Pountneys DIE SOLDATEN eine riesige, bewegliche  Zuschauertribüne. Akustiksegel unter den Dächern optimieren den Klang und imposante Lichtanlagen können mittlerweile jede beliebige Lichtstimmung erzeugen. Dabei entwickelte sich – nicht nur, aber auch – eine Tendenz zum Überwältigungstheater, bei dem mitunter alle Register gezogen wurden, um die Zuschauer maximal zu beeindrucken und mit vor Staunen offenen Mündern aus den Hallen zu entlassen.

Accatone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Mit seinem Musiktheaterstück ACCATTONE ist nun Johan Simons am Beginn seiner Intendanz einen ganz anderen Weg gegangen, zurück zu den Wurzeln der „Industriekultur“ im Ruhrgebiet und zurück zu den Anfängen seiner eigenen künstlerischen Karriere, in jene Zeit, als er mit seiner Theatergruppe HOLLANDIA in leeren Industriehallen, Ställen, Kirchen, auf Schrottplätzen und unter Brücken die Nähe zu seinem Publikum suchte.

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Schauplatz der Spielzeiteröffnung 2015-2017 ist die 200 Meter lange Kohlenmischhalle der ehemaligen Zeche Lohberg in Dinslaken, die zum ersten Mal für die Ruhrtriennale bespielt wird, eine öde Fläche aus Staub, Sand und Schotter unter einem dunklen Dach, darauf nur die vergleichsweise kleine Bühne für den Chor und das Orchester und zusätzlich ein Container. Und es gibt noch ein Loch im Boden, keine Scheinwerferbatterien, die diesen Unort effektvoll in Szene setzen würden, nur ein Feuer ganz hinten in der Halle. Weniger geht kaum noch. Ich muss zugeben, dass ich unmittelbar nach dem Stück ziemlich enttäuscht war. Mit etwas Abstand gefällt mir die radikale Beschränkung auf das Notwendigste jedoch inzwischen sehr gut, und ich bewundere den Mut, mit dem Johan Simons nicht nur meine Erwartungen, sondern vermutlich auch die vieler anderer Ruhrtriennale-Besucher unterschritten hat. Ich muss allerdings auch zugeben, dass mich das Stück nicht über die vollen fast zweieinhalb Stunden gefesselt hat. Auch hier wäre für mein Gefühl weniger mehr gewesen.

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Accattone, Ruhrtriennale 2015 © Michael Kneffel

Mehr Fotos von der Aufführung sind hier auf meiner Hompage zu sehen.

Romeo Castelluccis „Neither“ bei der Ruhrtriennale – großes Spektakel für die Jahrhunderthalle

Auch in seiner letzten Produktion für die Ruhrtriennale hat Romeo Castellucci wieder viele Register gezogen, um sein Publikum zu beeindrucken. Erst lässt er in „Neither“ ein kleines Kind, eine Katze, einen Hund und ein Pferd auftreten, dann eine ausgewachsene Dampflokomotive durch die Jahrhunderthalle und fast ins Publikum fahren. Zum Glück bewegt sich die gesamte Zuschauertribüne rechtzeitig zurück, so dass die Sorge vor dem Zusammenstoß einem kollektiven Seufzer der Erleichterung weichen kann. Die atemlose Aufmerksamkeit des Publikums sichert Castellucci dem Stück durch minutenlange Passagen, in denen kein Ton zu hören ist. Schöne Bilder, wie man sie aus amerikanischen Gangsterfilmen und italienischen Arbeiter-Epen kennt, werden von ihm in die Halle gestellt. Und schließlich illuminiert er die Halle selbst durch starke Scheinwerfer, die sich außen über der Halle bewegen, und macht das Industriedenkmal zum eigentlichen Hauptdarsteller der Veranstaltung.  Was für ein Spektakel!

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castellucis "Neither" in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Romeo Castelluccis „Neither“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Michael Kneffel

Weitere Fotos gibt es auf meiner Homepage zu sehen.

 

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Spaghetti mit Gesang – bei der Ruhrtriennale in Gladbeck

Christoph Homberger in "Sänger ohne Schatten" © Michael Kneffel

Christoph Homberger in „Sänger ohne Schatten“ © Michael Kneffel

Kann man Spaghetti mit Tomatensauce essen und dabei gleichzeitig singen? Christoph Homberger kann es. In Boris Nikitins (Musik-)Theaterstück „Sänger ohne Schatten“ spielt der Tenor sich selbst und erzählt von seinem Beruf und aus seinem Leben, ebenso wie die Sopranistin Karan Armstrong und der Countertenor Yosemeh Adjei.  Begleitet werden sie gelegentlich von dem Pianisten Stefan Wirth. Gemeinsam stehen sie zwischen leeren Kartons, Kabeln und technischem Gerät auf einer Probenbühne in der Maschinenhalle Zweckel im Rahmen der Ruhrtriennale – und sorgen für einen sehr unterhaltsamen und berührenden Theaterabend.

Yosemeh Adjei in "Sänger ohne Schatten" © Michael Kneffel

Yosemeh Adjei in „Sänger ohne Schatten“ © Michael Kneffel

 

"Sänger ohne Schatten" in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck © Michael Kneffel

„Sänger ohne Schatten“ in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck © Michael Kneffel

Mehr Fotos gibt es hier auf meiner Homepage.

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Harry Partch: Delusion of the Fury – Zwischen Traum und Wahn

Im Programmheft der Ruhrtriennale 2013 wird „Delusion of the Fury“ von Harry Partch angekündigt als „…ein Stück zwischen Traum und Wahn, das alle theatralischen Mittel wie Licht, Bewegung, Gesang sowie die außerordentliche Präsenz seiner Instrumente integriert. Ein Theater ohne präzisen Ort…Ein Blick auf eine Kultur, die uns gleichsam fremd und vertraut erscheint…“ Genau!

Heiner Goebbels bleibt seiner Linie treu und eröffnet auch die Spielzeit 2013 in der Jahrhunderthalle Bochum mit einem Stück, das seit seiner Fertigstellung vor 47 Jahren kaum irgendwo zur Aufführung gebracht wurde. Europapremiere.

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Delusion of the Fury © Michael Kneffel

Oberammergau im Ruhrpott: DIE PASSION in Gelsenkirchen-Rotthausen – Amateurtheater auf hohem Niveau

Jesse Krauß als Jesus (c) Michael Kneffel

Jesse Krauß als Jesus (c) Michael Kneffel

Seit 1643 stellen Bewohner des Dorfes Oberammergau alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Jesu in seinen letzten 5 Tagen nach. In Gelsenkirchen-Rotthausen hat man damit am 13. Februar 2013 angefangen. Seit Beginn der Fastenzeit treten  in der dortigen Evangelischen Kirche bis zum Ostermontag Amateurschauspielerinnen und -schauspieler aus Gelsenkirchen, Bochum, Essen, Oberhausen und Herne mit dem Passionsspiel auf. Über 40 Mitwirkende zählt die ungewöhnliche Produktion.

Jesus mit der Dornenkrone (c) Michael Kneffel

Jesus mit der Dornenkrone (c) Michael Kneffel

Ein Passionsspiel in einer Kirche hat es im Ruhrgebiet bisher noch nicht gegeben, und es dürfte keine leichte Aufgabe gewesen sein, ein wirklich anspruchsvolles Amateurtheater an diesem Ort in Szene zu setzen. Regisseur und Initiator Elmar Rasch von der Bühne im Revier ist es eindrucksvoll gelungen, aus den vielfältigen Nöten eine Tugend zu machen und das Stück auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Hauptdarsteller und Regisseur (c) Michael Kneffel

Hauptdarsteller und Regisseur (c) Michael Kneffel

Nach der Premiere gab es langen Applaus, und vielleicht wurde ja in Gelsenkirchen eine neue Traditionslinie begründet. Verdient hätte es dieses Theaterprojekt.

Mehr Fotos von der Produktion gibt es hier zu sehen.