Schwindel und Koffein – Ein Erfahrungsbericht

Die erste Schwindelattacke

Es begann 1988. Ich saß in meinem Büro, als mir plötzlich schwindelig wurde. Alles um mich herum drehte sich, und mir wurde speiübel. Nie zuvor hatte ich eine solche Attacke erlebt. In meinem Kopf drehte sich ein Karussel, und jede Bewegung schien es zu beschleunigen. Ich hielt mich am Schreibtisch fest und versuchte zunächst, meine Lage möglichst nicht zu verändern. Nach einiger Zeit ließ der Schwindel etwas nach, und ich überlegte, was passiert sein könnte. Als Erklärung für meinen Zustand fiel mir nur ein heftiger Blutdruckabfall ein. Als ich mich endlich wieder traute, mich zu bewegen, ging ich sehr langsam, unsicher und schwankend zu einer Apotheke in der Nachbarschaft, um dort den Blutdruck messen zu lassen. Wer mich auf meinem Weg gesehen hat, wird möglicherweise gedacht haben, ich sei betrunken. Zu meiner Überraschung war der Blutdruck völlig normal. Was also war mit mir geschehen?

Heute weiß ich gar nicht mehr, wie lange die erste Schwindelattacke tatsächlich anhielt. Ich vermute, mindestens eine Woche – mit langsam abnehmender Tendenz. Eine Woche erwies sich in den folgenden Jahren nämlich als Mindestdauer. Es gab allerdings auch wesentlich längere Attacken. Mein „Rekord“ lag bei ungefähr vier Wochen. Zwanzig Jahre lang litt ich mindestens einmal im Monat, meist jedoch öfter unter diesem Schwindel.

Ältere Menschen erinnern sich wahrscheinlich noch an die Bildstörungen, die früher gelegentlich bei Röhrenfernsehgeräten auftraten. Aus irgendwelchen Gründen begann plötzlich das Fernsehbild von oben nach unten oder umgekehrt durchzulaufen. Mal langsam, ein anderes Mal rasend schnell. Bei meinem Schwindel verhielt es sich ganz ähnlich, nur dass das Bild von rechts nach links bzw. umgekehrt durchlief. Wer schon einmal seekrank war, weiß, wie sich das anfühlt.

Viele Ärzte, keine Hilfe

Mein Hausarzt, den ich während einer der folgenden Schwindelattacken aufsuchte, konnte mein Problem mit Hilfe einer speziellen „Brille“, die er mir aufsetzte, sofort nachvollziehen. Meine Augen bewegten sich nämlich hinter dieser „Brille“ ständig von einer Seite zur anderen, wahrscheinlich bei dem Versuch, den sich bewegenden Bildern zu folgen. Für ihn war die Diagnose schnell klar: Es handelte sich nach seiner Ansicht um einen „lagebedingten Schwindel“. Seine Erklärung: Im Gleichgewichtsorgan des Ohres befinden sich winzige kristallähnliche Teilchen. Wenn diese durch eine Erschütterung aus ihrer normalen Lage gebracht werden, sendet das Gleichgewichtsorgan im Ohr Signale an das Gehirn, die nicht zu den Signalen aus den anderen Gleichgewichtsorganen (Augen und Sensoren in den Muskeln) passen, und der Schwindel beginnt. Der Schwindel endet dann wieder, wenn diese „Kristalle“ in ihre ursprüngliche Lage zurück gelangen oder wenn das Gehirn es im Laufe mehrerer Tage lernt, die anfangs ungewohnten Signale als normal zu interpretieren. Zum Beweis seiner Theorie bewegte er meinen Kopf ruckartig hin und her, und tatsächlich ließ sich der Schwindel so provozieren oder verstärken. Seine Therapievorschlag lautete, dass ich während einer akuten Attacke den Schwindel immer wieder selbst durch schnelle Lageänderungen provozieren sollte, bis sich mein Gehirn daran gewöhnt hatte. Mit anderen Worten: Wenn es mir schlecht ging, sollte ich meinen Zustand gezielt verschlechtern, bis ich mich wieder besser fühlte! Daneben verschrieb er mir das Medikament „Vertigo-Vomex“. Tatsächlich konnten dieses Mittel die Übelkeit lindern – mehr aber auch nicht. Und seine Erklärung für den Auslöser der Attacken überzeugte mich gar nicht. Ich lief nur selten mit dem Kopf gegen die Wand, hüpfte nicht ständig auf einem Bein, bekam keine Treffer beim Boxtraining und kann mich auch ansonsten an keine ruckartigen Bewegungen erinnern, die meine Schwindelattacken ausgelöst hatten. Sie kamen scheinbar aus dem Nichts und begannen auch nach völlig ruhigen und bewegungsarmen Phasen.

Auf der Suche nach plausibleren Erklärungen und damit auch nach Möglichkeiten, die Schwindelattacken möglichst ganz zu vermeiden oder wenigstens zu verringern, habe ich in den folgenden Jahren zahlreiche Ärzte kennen gelernt: Orthopäden, Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten, Neurologen, Gefäßspezialisten usw., die mir alle nicht geholfen haben. Am übelsten ist mir ein HNO-Arzt in Erinnerung, die mir wochenlang täglich eine Spritze setzte, auch an den Wochenenden, in dem Versuch, die Durchblutung meiner Innenohren zu verbessern, und mit dem Ergebnis, dass ich mich schließlich von den Spritzen noch schlechter fühlte als jemals zuvor. Wenn die Ärzte mit ihrem Latein am Ende waren, durfte ich mir auch oft anhören, dass mein Problem „wahrscheinlich psychisch bedingt“ war.

Irgendwann gab ich es auf, bei Ärzten eine Erklärung und damit eine echte Therapie finden zu wollen. Ich versuchte, mich irgendwie mit dem Schwindel und den daraus resultierenden massiven Beeinträchtigungen meiner Lebensqualität abzufinden.

Koffein als Auslöser

Tatsächlich dauerte es ungefähr zwanzig Jahre, bis mir selbst ein Zusammenhang zwischen dem Beginn einer Schwindelattacke und dem Genuss von Koffein auffiel. Dass der Groschen so spät fiel, hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich gar nicht regelmäßig Kaffee trank und dass sich unterschiedliche Kaffeesorten sehr unterschiedlich auswirkten. Die Erleuchtung kam mir, nachdem in der Nachbarschaft ein neues Café eröffnet hatte, dessen  Einrichtung und Atmosphäre mich schnell anlockten. Von allen Seiten wurde der Cappuccino gelobt, also probierte ich ihn auch und war sofort vom großartigen Geschmack überzeugt. Ob ich gleich nach dem ersten Besuch eine Schwindelattacke bekam, weiß ich nicht mehr. Aber sehr bald spürte ich, wie sich nach einem Cappucchino etwas in meinen Ohren veränderte, ähnlich wie im Fleugzeug bei Start und Landung. Und nicht selten setzte danach der Schwindel ein. Manchmal schon nach wenigen Schlucken. Dieser Cappuccino war nicht nur besonders lecker, sondern anscheinend auch besonders stark. Ich mied also dieses Café und begann gleichzeitig darauf zu achten, ob es bei mir einen Zusammenhang zwischen dem Kaffeegenuss und dem Schwindel gibt. Schon bald war ich davon überzeugt, und mir wurde außerdem bewußt, dass schwarzer und grüner Tee ähnliche Beschwerden bei mir auslösten, je nach Stärke und Menge. Schließlich fiel mir noch auf, dass eine besonders starke Lakritzsorte, die ein Kollege aus den Niederlanden bezog und die er während diverser Besprechungen anbot, ebenfalls bei mir Schwindel auslösen konnte. Ebenso wie Koffein und Teein scheint Lakritz die Durchblutungs- und Druckverhältnisse im Ohr zu verändern und damit Einfluss auf das dortige Gleichgewichtsorgan zu nehmen.

Seit ich bewußt auf diese Stoffe verzichte, hat bei mir die Häufigkeit von Schwindelattacken stark abgenommen. Ganz verschwunden sind sie nicht, aber nach vielen schwierigen Jahren hat sich meine Lebensqualität erheblich verbessert. Heute trinke ich sogar hin und wieder wieder einen entkoffeinierten Kaffee, aber nicht überall. Auch der sogenannte entkoffeinierte Kaffee kann noch Reste von Koffein enthalten, und nicht immer bekommt man auch den Kaffee, den man bestellt hat.

Ärzte, denen ich in den letzten Jahren von meinen Beobachtungen berichtet habe, hat das in der Regel wenig bis gar nicht interessiert, und ich nehme an, dass sie meine Erfahrungen auch nicht an ihre anderen Schwindelpatienten weitergeben. Da ich aber weiß, wie sehr ständige Schwindelattacken das Lebensgefühl beeinträchtigen, habe ich diesen Blogbeitrag verfasst, der diesmal ganz ohne Fotos auskommt und so gar nichts mit meinen übrigen Themen zu tun hat. Mir ist bewußt, dass Schwindel sehr viele verschiedene Ursachen und Auslöser haben kann und dass der Verzicht auf Koffein längst nicht allen Betroffenen helfen wird. Ein Versuch kann aber auch nicht schaden.